Altersarmut in Neukölln

Fragestellerin: Marlies Becker

Im Rahmen einer Kleinen Anfrage richtete Marlies Becker, Bezirksverordnete der AfD-Fraktion Neukölln, am 17. Mai 2022 folgende Anfrage an das Bezirksamt Neukölln:

1. Wie viele Neuköllner Bürger waren in den Jahren 2017, 2018, 2019, 2020 und 2021 armutsgefährdet? 

2. Wie viele Neuköllner Bürger waren in den Jahren 2017, 2018, 2019, 2020 und 2021 von Altersarmut betroffen? 

3. Von welcher Dunkelziffer von verdeckter Altersarmut geht das Bezirksamt im Jahr 2021 gegenüber dem Jahr 2017 aus?

4. Welche Planungsräume in Neukölln sind derzeit von überdurchschnittlicher Altersarmut betroffen?

5. Ältere Personen, die mit ihren Einkünften nur wenig über den Bemessungsgrenzen für die Grundsicherung im Alter liegen, haben keinen Anspruch auf Grundsicherung im Alter, sind aber ebenso von den negativen Auswirkungen der Altersarmut betroffen. Welche Angebote zur Verbesserung der Situation für die betroffenen Menschen bietet das Bezirksamt an?


Literaturverzeichnis

Bezirksamt Neukölln von Berlin Planungs- und Koordinierungsstelle Gesundheit, Gesundheits- und Sozialberichterstattung https://www.berlin.de/ba-neukoelln/_assets/dokumente/abteilung-gesundheit/neukoelln-im-besten-alter-ue50-bis-80plus_deckblatt-ueberarbeitet_20-01.pdf

Antwort des Bezirksamts Neukölln: KA/093/XXI vom 27.06.2022

Sehr geehrter Herr Vorsteher, sehr geehrte Damen und Herren, sehr geehrte Frau Becker, 

das Bezirksamt beantwortet Ihre Kleinen Anfrage wie folgt: 

Frage 1 

Die Armutsgefährdungsquote gibt an, wie hoch der Anteil der armutsgefährdeten Personen an der Gesamtbevölkerung ist. Zur Berechnung der Armutsgefährdungsquote wird das von allen Haushaltsmitgliedern tatsächlich erzielte Haushaltseinkommen des Vorjahres herangezogen.

Es setzt sich zusammen aus dem Einkommen aus selbstständiger und unselbstständiger Erwerbstätigkeit, dem Einkommen aus Vermögen, Renten und Pensionen sowie empfangenen laufenden Sozialtransfers – wie zum Beispiel Arbeitslosengeld, Sozialhilfe oder Kindergeld. Direkte Steuern und Sozialbeiträge sind abgezogen. Als armutsgefährdet gilt eine Person, die mit weniger als 60 % des mittleren Einkommens (Median) der Gesamtbevölkerung auskommen muss. Diese Einkommensgrenze wird als Armutsgefährdungsschwelle bezeichnet. Es handelt sich um eine relative Einkommensarmut.1

Im Gegensatz zum absoluten Armutsbegriff entstehen durch eine relative Armut keine existenzbedrohenden Risiken mit direkt bedrohlichen Folgen für die grundrechtliche geschützten Rechtsgüter Leben und körperliche Unversehrtheit. Vielmehr ist das soziokulturelle Existenzminimum und damit die gesellschaftliche Teilhabe und die Chancengerechtigkeit unter Umständen eingeschränkt. 

Entsprechend der im Regionalen Sozialbericht 20192 zur Verfügung stehenden Daten, die auch Eingang in den aktuellen (Datenstand: 2019) Gesundheits- und Sozialstrukturatlas 20223 gefunden haben (siehe Tabelle 1) stellt sich die Entwicklung der Anzahl der armutsgefährdeten Neuköllner Bürgerinnen und Bürger wie folgt dar: 

201720182019
86.299 (26,2%) 90.635 (27,4%) 96.336 (29,2%) 
Anzahl der armutsgefährdeten Neuköllner Bürger sowie Armutsgefährdungsquoten der Neuköllner Bevölkerung 2017 bis 2019 („Tabelle 1“)

Für umfangreiche Ausführungen im Rahmen der Fragestellung verweise ich auf die Homepage der Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales. Dort finden Sie unter dem Link zusammenfassende Übersichten der wichtigsten Eckdaten zu Ausmaß und Struktur des jeweils aktuellen Standes des Bezuges von Leistungen nach dem SGB XII, SGB IX, AsylbLG und dem LPflGG im Land Berlin. Weitergehende Daten zum Thema sind im Sozialinformationssystem unter https://piveau-hub-ui-gsi.apps.osc.fokus.fraunhofer.de/home?lang=de abrufbar. 

1 https://www.destatis.de/Europa/DE/Thema/Bevoelkerung-Arbeit-Soziales/Soziales-Lebensbedingungen/Armutsgefaehrdung-Definition.html, abgerufen am 27.05.2022 

2 https://www.statistik-berlin-brandenburg.de/publikationen#sonderveroeffentlichungen, abgerufen am 27.05.2022 

3 https://www.berlin.de/sen/gesundheit/service/gesundheitsberichterstattung/gesundheit-und-sozialstruktur/, abgerufen am 27.05.2022  

In der Beurteilung der Entwicklung der Armutsgefährdung ist zu berücksichtigen, dass sie nur bedingt Aussagen zum tatsächlichen Lebensstandard der betroffenen Personen zulässt. So kann die Anzahl der formal armutsgefährdeten Personen allein durch einen Anstieg des Medianeinkommens der Gesamtbevölkerung zunehmen, ohne dass dadurch eine faktische Ver-änderung der Lebensumstände der nunmehr erstmalig betroffenen Personen verbunden ist.

Auf der anderen Seite kann ein Rückgang des Medianeinkommens der Gesamtbevölkerung die Armutsgefährdungsquote verringern, ohne eine tatsächliche Verbesserung der Situation der betroffenen Personen zu bewirken. Hinzu kommt eine regionale Komponente. So kann jemand, der im Bundesland Hessen als armutsgefährdet gilt, mit gleichem Einkommen in Berlin nicht mehr in diese Kategorie fallen. Dieser Effekt wird durch den Bezug auf das bedarfsgewichtete mittlere Einkommen aber bei der Beschreibung des Indikators Armutsgefährdungsquote berücksichtigt. Für die Beurteilung der tatsächlichen Lage ist daher immer ein tiefer gehender Blick erforderlich. 

Frage 2 

Laut des Regionalen Sozialberichts des Amtes für Statistik Berlin-Brandenburg betrug das Armutsrisiko im Rentenalter ab 65 Jahren in Berlin im Jahr 2018 11,9 %.

Der Bericht des Monitoring Soziale Stadtentwicklung 2019 gibt an, dass mit Datenstand vom 31.12.2018 insgesamt 20.218 Neuköllner von Altersarmut betroffenen waren (siehe hierzu auch Abbildung 1 zur Verteilung auf die Planungsräume unter Frage 4).

Personen im Rentenalter gelten als arm, wenn sie ihren notwendigen Lebensunterhalt aus ihrem Einkommen – hier: Rente – oder Vermögen nicht abdecken können und staatliche Transferleistungen erhalten. Diese relative Einkommensarmut wird als Altersarmut bezeichnet.6

Auch hier ist zu berücksichtigen, dass allein der Bezug staatlicher Transferleistungen, die ja gerade zur sozialen Sicherung vorgesehen sind, nicht allein auf unzumutbare Lebensverhältnisse hindeutet, wie es der Begriff „Armut“ im allgemeinen Sprachgebrauch andeutet. Der Anteil an Personen, die nach diesem Verständnis arm sind, kann beispielsweise schon durch die Anhebung der Leistungshöhen und einer damit verbundenen Erweiterung des anspruchsberechtigten Personenkreises steigen, obwohl jeder der Betroffenen tatsächlich ein höheres Einkommen durch (ergänzende) Transferleistungen und damit ein höheres Niveau der sozialen Absicherung erzielt.

Auch an dieser Stelle verweise ich für umfangreiche Ausführungen im Rahmen der Fragestellung auf die Homepage der Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales sowie das Sozialinformationssystem (vgl. Antwort zu Frage 1). 

4 https://www.statistik-berlin-brandenburg.de/publikationen#sonderveroeffentlichungen, abgerufen am 27.05.2022 

5 https://www.stadtentwicklung.berlin.de/planen/basisdaten_stadtentwicklung/monitoring/de/2019/tabellen02.shtml, abgerufen am 27.05.2022 

6 https://www.stadtentwicklung.berlin.de/planen/basisdaten_stadtentwicklung/monitoring/de/indikatorenblaetter/ab2019.shtml. abgerufen am 27.05.2022  

Frage 3 

Über die Größenordnung derjenigen Personen, die aufgrund ihres niedrigen Alterseinkommens zwar einen Anspruch auf Grundsicherung hätten, diesen aber nicht wahrnehmen („Dunkelziffer der Nicht-Inanspruchnahme“), gibt es keine aktuellen und verlässlichen Informationen.7 

Frage 4 

Der Kontextindikator Altersarmut ist im aktuellen Bericht des Monitoring Soziale Stadtentwicklung von 2021 noch nicht berücksichtigt. Alle nach dem aktuellsten Datenstand (20188) überdurchschnittlich von Altersarmut betroffenen 14 Neuköllner Planungsräume liegen im Norden Neuköllns (siehe Tabelle 2 sowie Abbildung 1). 

Planungsräume Neuköllns mit überdurchschnittlicher und stark überdurch-schnittlicher Altersarmut (Kontext-Indikator Altersarmut – Anteilswerte – auf Ebene der Planungsräume; Stand: 31.12.2018) („Tabelle 2“)

7 https://www.bpb.de/themen/soziale-lage/rentenpolitik/289542/empfaengerzahlen-und-strukturen-und-dunkelziffer-der-nicht-inan-spruchnahme/#node-content-title-2, abgerufen am 27.05.2022 

8 https://www.stadtentwicklung.berlin.de/planen/basisdaten_stadtentwicklung/monitoring/de/2019/tabellen02.shtml, abgerufen am 27.05.2022  

Abbildung 1: Altersarmut 2018 in Neukölln nach Planungsräumen (Monitoring Soziale Stadtentwicklung 2019) 

Frage 5 

Personen, deren Einkommen über der Einkommensgrenze liegt und somit nicht im Leistungsbezug stehen, sind im Amt für Soziales regelmäßig nicht bekannt und können somit auch nicht gezielt für etwaige Hilfeleistungen angesprochen werden. Zur Vermeidung von Schulden durch nicht gedeckte Mietzahlungen gibt es zudem in der Sozialen Wohnhilfe des Amtes für Soziales Neukölln ein Mietschuldenpräventionsteam.

Dieses Team befasst sich mit Hilfen zur Sicherung von Wohnraum und der Verhinderung von Mietschulden. Auch die Schuldner- und Insolvenzberatung sowie die unabhängigen Sozialberatungen des DRK und des Nachbarschaftsheims Neukölln e.V. erhalten Zuwendungen bzw. Mittel im Rahmen der Auftragswirtschaft vom Bezirksamt Neukölln. Neben der allgemeinen sozialen Beratung, beraten die unabhängigen Sozialberatungen auch sozialen und finanziellen Notlagen, zu Leistungen verschiedener Stiftungen und unterstützen bei der Beantragung von Sozialleistungen.

Gegebenenfalls wird hier auch an Fachberatungsstellen vermittelt (z.B. Schuldnerberatung, Rechtsberatung usw.). Des Weiteren informieren, beraten und unterstützen die drei Neuköllner Pflegestützpunkte kompetent, kostenfrei und individuell zu zahlreichen Themen rund um Pflege und Alter. Aufgabe des Seniorenservice im Amt für Soziales ist es mit Blick auf die ge-sellschaftliche Teilhabe den Seniorinnen und Senioren unter anderem den Besuch von Veranstaltungen oder Einrichtungen, die der Geselligkeit, der Unterhaltung, der Bildung oder den kulturellen Bedürfnissen zu ermöglichen. Dies ist insbesondere von Bedeutung, da Altersarmut aufgrund ausbleibender sozialer Kontakte auch zu Einsamkeit führen kann. 

Um dem entgegenzuwirken werden unter anderem die Angebote zur Freizeitgestaltung in den Seniorenfreizeitstätten zu rund 90 % kostenlos vorgehalten. Lediglich für einige wenige Kursen ist ein geringer Beitrag zu zahlen (1,00 oder 2,00 €). Des Weiteren gibt es auch die Möglichkeit, in einigen Seniorenfreizeiteinrichtungen zu einem geringen Preis ein Frühstück, ein Mittagessen oder auch ein Kaffeegedeck mit Kuchen zu erhalten.

Für verschiedene Kultureinrichtungen bzw. Theater werden für Seniorinnen und Senioren darüber hinaus vergünstigte Eintrittskarten vorgehalten. Auch an den durch den Seniorenservice organisierten Veranstaltungen – wie zum Beispiel Faschingsfeiern oder das Oktoberfest – ist für die Teilnahme lediglich ein geringer Eintrittspreis zu entrichten. Bei Tagesfahrten erhalten nicht nur Empfängerinnen und Empfänger von Grundsicherung im Alter sondern auch Wohngeldempfängerinnen bzw. Wohngeldempfänger ermäßigte Karten im Seniorenservice (z. B. 10,00 statt 35,00 €), die dann durch das Bezirksamt bezuschusst werden.

An dieser Stelle sei auch auf die beiden Weihnachtsfeiern hingewiesen, die jedes Jahr von den Kolleginnen und Kollegen im Se-niorenservice insbesondere für den in Rede stehenden Personenkreis organisiert und kostenlos angeboten werden. Ein kleines Showprogramm rundet dabei regelmäßig den Nachmittag bei Kaffee und Kuchen ab. In den vergangenen zwei Jahren ließ es die pandemische Lage leider nicht zu, dass die Weihnachtsfeiern in Präsenz durchgeführt werden konnten. Ersatzweise wurden Weihnachtstüten mit kleinen Präsenten ausgegeben.

Sollten die ehrenamtlichen Mitglieder im Gratulationsdienst Kenntnis von finanziellen Notlagen erlangen, stellen die Kolleginnen und Kollegen im Seniorenservice die Verbindungen zu den im Rahmen der Beantwortung bereits aufgeführten Beratungs- und Unterstützungsangeboten her, um die Situationen zu verbessern. Auch im monatlich erscheinenden Veranstaltungskalender des Seniorenservice wird regelmäßig auf Träger mit besonderen Angeboten sowie auf neue Hilfsangebote im Sinne der Fragestellung hingewiesen. 

Die Kleine Anfrage wurde beantwortet durch Falko Liecke, Bezirksstadtrat.